ERFOLGREICH GESCHEITERT……

Es ist Samstag der 16.10.2021, 22.30 Uhr, Aschach.

Ich habe ihn gefunden! Endlich da ist er!! Den Punkt den ich immer so oft gesucht habe. Jetzt ist er endlich da. Ich fühle mich auf der einen Seite erleichtert, weil diese Suche endlich ein Ende hat. Gleichzeitig bin ich traurig.

Warum kommt dieser Punkt genau jetzt? „Du bin doch schon weiter gelaufen“ sage ich zu mir selbst, ich verstehe das nicht. Ich sitze in einem Gastgarten, es ist dunkel, kalt und ich friere. Meine Lauf-App zeigt das ich bei km 71 bin. Vor mir steht meine Thermoskanne aus der ich vorsichtig etwas in meinen Donautrail-Becher gieße. Ich versuche aufzustehen, doch alleine beim Versuch, knicke ich ein. Er ist wirklich da, der Punkt bei dem ich sage: Ich kann nicht mehr!

….Da fällt mir plötzlich ein…

Rückblick:Es ist Donnerstag der 14.05.2020, Gramastetten.

Habe Besuch von meinem Freund Gerald – vor uns die ein oder andere leere Bierflasche. Wir öffnen einen Starkicker Whisky und philosophieren über unsere Trainingsläufe. Gerald läuft mehrfach Marathon im Jahr – auf der halben Welt.
Und ich? …..freue mich wenn ich mal 20km schaffe, als er plötzlich sagte: “Du musst dich einfach mal zu einem Marathon anmelden, wenn du möchtest, laufen wir ihn auch gerne gemeinsam“! Wir schauen uns an und wir zücken gleichzeig unsere Handy´s. Als wir auf Florenz stoßen. „Ja der passt, sind noch 199 Tage bis dahin, das packst“. Wenige klick´s später, war ich angemeldet.

Samstag 16.10.2021 22:35 Uhr Aschach
„So hat es begonnen, so soll es aber nicht enden“ höre ich mich selbst laut sagen. Neuer Versuch aufzustehen, aber meine Beine können mich nicht tragen. Im Rucksack krame ich nach einem Power-Gel, es muss ja weiter gehen. 71km können nicht dein ENDE sein, du hast schon 77km (LINZ77 im Sommer) geschafft. Ich verliere mich in meinen Gedanken….

Rückblick:Es ist Samstag der 24.07.2021 Zaubertal
Unter meinen Füßen ist der Donautrail 77, ich stehe im Zaubertal, Waldgebiet und es geht bergauf. Ich bin völlig am Ende, schaue zum Himmel und kann die ganzen Blitze nichtmehr zählen. Es donnert, meine Stirnlampe tut ihr nötigstes, um mir den Weg durch das Dickicht zu weisen. Aber ich kann nichtmehr, mir brennen die Fußsohlen, meine Oberschenkel glühen. Ich kann keinen Schritt mehr gehen. Als plötzlich der Wald mehr als nur taghell wird. Ich schrecke auf und denke mir nur, Gewitter? Wald? Keine gute Kombination, ich muss raus hier, ich muss weg. Der Kopf siegt über den Körper und ich bin heil davon gekommen.

Samstag 16.10.2021 22.40 Uhr Aschach
Reiß dich zam! Der Punkt ist NICHT heute und sicher NICHT Jetzt! Steh auf. Du brauchst kein Gewitter! Es fallen mir unzählige Sprüche ein ,great things nerver came from comfort zones’… „so ein Blödsinn“ murmle ich: „Wo ist bitte die comforte zone?“ It doesn´t challenge you, it doesn´t change you „ppffffff”….
Ich schaue auf mein rotes Armband Donautrail 100KM.
Meine Augen werden feucht. Er ist echt da, der Punkt hat dich erwischt….

Rückblick:Montag 04.10.2021 18:00 Uhr Linz
Eine Dachterrasse in Linz, ich bin bei Christoph zu Besuch und wir sitzen in der Abendsonne. Wir quatschen über die 100KM Strecke. „Die Strecke hat es schon in sich“ meinte Christoph als er mir eine Flasche Bier anbot. „Die 77km hast auch gepackt, da geht der schon“ erzähle er mir, „Da gibt’s noch viel wildere Sachen……“ Wir philosophieren wie man die Strecke angeht, wo man Kraft sparen sollte. Als ich mich dann später verabschiedete, gab er mir genau dieses rote Armband. Ich bekam Gänsehaut und war voller Demut. Welche Supersportler sich dieser Herausforderung gestellt und bewältigt haben.
Gehöre ich bald auch dazu??

Samstag 16.10.2021 22:45 Uhr Aschach
JA, gehörst du! STEH AUF! Rechtes Bein, Linkes Bein, jetzt der Rucksack! Stöcke, Lampe! Geh.
Geh einfach, erster Schritt. Zweiter Schritt.


Da ist er wohl doch nicht! Hab ich den Punkt wohl doch nicht gefunden, und sofort werden meine Augen nass. Jetzt geh einfach Schritt für Schritt. Ein paar km entfernt, sehe ich die Brücke über die ich gehen muss. Dann geht’s heim. Du darfst deinen Punkt weiter suchen. Ich kämpfe mit der Lauf-App, sie schaltet immer wieder die Aufzeichnung ab. Mich nervt das, aber es lenkt mich ab.

Denn plötzlich stehe ich vor den Stiegen die zur Brücke hoch gehen. „Geh hoch“ höre ich zu mir selber sagen. Auf der Mitte der Brücke angekommen, verändert sich mein Sichtfeld. Es wird immer kleiner und enger. Ich habe das Gefühl ich schaue durch eine unscharfe Brille, die völlig verdreckt ist. Geräusche gibt kaum, und die, die da sind nehme ich immer weniger wahr. Meine Schritte klingen wie ein Mantra das mich wie in eine Art Meditation versetzt. Die Lichter auf der Brücke werden immer kleiner und dunkler. Dann sind sie aus.


Blackout.

Was flackert da? Das nervt! Warum geht da immer ein Licht an??? Ich erkenne ein Geländer das ich gut kenne, aber was macht das hier in Aschach? Das ist doch kurz vor Linz. Egal. Geh weiter. Geh zum Auto.Aua,.. Aua,…. Was ist jetzt los? Meine Gedanken sammeln sich. Ich stehe. Mein rechter Fuß schlägt die ganze Zeit gegen etwas…. Was ist das? Ist das eine Treppe? Ich kneife meine Augen zusammen.
Ja es ist eine Treppe, aber ich kann meinen Fuß nicht so weit anheben. Warum eine Treppe? Ich schüttle mich, mein Gesicht spüre ich kaum vor Kälte. Völlig steif sehe ich einen Schatten an mir vorbei gehen, ich kann mich nicht umdrehen und ihm nachschauen. Was ist hier los? Wo bin ich? Ich hab das Handy in der Hand, und stecke es gerade in die Tasche. Ist das Linz? Ist das die Nibelungenbrücke?

Das kann nicht sein. Ist es aber!

Ich steige die Stufen hoch, jeder Stufe verursacht mir heftige Schmerzeh, mein ganzer Körper tut weh. Völlig verwirrt zück ich mein Telefon und mach ein Foto. Als ob ich einem Foto mehr glauben würd als meinen eigenen Augen. Ich bin oben auf der Brück und gehe die letzten Schritten zum Hauptplatz als mich ein Mann überholte „Na du hast ja ordentlich was zum schleppen“. Ich konnte nicht antworten.Meine Füße fühlen sich an wie klumpen, ich spüre nur Schmerz im Schuh. Noch paar Meter. Ein letztes Mal zücke ich mein Handy und knipse ein Selfie vor dem Mamut-Shop.

GESCHAFFT!

Noch schnell auf der Lauf-App Beenden drücken und ab ins Auto. Jeder Schritt tut mir weh, in meinem Kopf ist totale Verwirrung, eine Mischung aus Verwunderung und Stolz.
Kann man auf etwas stolz sein an das man sich nicht erinnern kann?
Woran ich mich aber erinnere, ist das ich heute wieder meine Grenze ein Stück nach hinten geschoben habe. Und plötzlich sind da wieder die gleichen Fragen:„Wann erreiche ich diesen Punkt?“„Ist es wichtig diesen Punkt zu erreichen?“„Ist es überhaupt gesund diesen Punkt erreichen zu wollen?“
Ein entfernter Freund von mir der zu diesem Thema ein Buch geschrieben hat, spricht immer vom „Mehr-Monster“ das Hunger hat. Es möchte ständig fressen und mehr mehr mehr…..Ich glaube mein „Mehr-Monster“ hat genug zu fressen bekommen, und es wird einfach in Keller gesperrt. Dort wo ich es nicht höre, dort wo es schreien kann, wo es wild toben kann, weil ihm keiner zuhört.

Ich will nicht hinhören…….„und wenn du nach der 100km Strecke noch die 22km dranhängst?“ flüstert es doch ganz leise…


Markus hat im Jahr 2021 alle 5 Distanzen des Donautrails offiziell bewältig.
Am 16.10 hat er schließlich im Alleingang den LINZ100 ,gepackt’!

Eine gewaltige Leistung: körperlich aber vor allem MENTAL!

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